Sozialrecht
Meddir a. D. Dr. Müsch: (Doppel-) Fachärztlicher (Landes-) Sozialgerichtsgutachter (sog. "Sachverständiger")
Im Sozialgesetzbuch VII "Gesetzliche Unfallversicherung" (SGB VII) werden Berufskrankheiten als Versicherungsfall unter dem § 9 behandelt, der gleichzeitig auch als Ermächtigungsgrundlage für die Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) fungiert.
Ressorttechnisch ist das Bundesarbeitsarbeitsministerium (BMAS) dabei sowohl als Gesetz- wie auch als Verordnungsgeber zuständig:
§ 9 Berufskrankheit SGB VII (Auszüge)
"(1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, daß die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind oder wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. In der Rechtsverordnung kann ferner bestimmt werden, inwieweit Versicherte in Unternehmen der Seefahrt auch in der Zeit gegen Berufskrankheiten versichert sind, in der sie an Land beurlaubt sind.
(2) Die Unfallversicherungsträger haben eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind.
(3) Erkranken Versicherte, die infolge der besonderen Bedingungen ihrer versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer in der Rechtsverordnung nach Absatz 1 genannten Berufskrankheit ausgesetzt waren, an einer solchen Krankheit und können Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht festgestellt werden, wird vermutet, daß diese infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist."
Literaturempfehlungen
Schweigler, Daniela: Das Recht auf Anhörung eines bestimmten Arztes (§ 109 SGG)
Dogmatische Einordnung und sozialgerichtliche Praxis eines umstrittenen Prozessinstruments
Univ., Diss., München 2012 / Nomos, Baden-Baden 2013
Müsch, Franz H.: Berufskrankheiten - Ein medizinisch-juristisches Nachschlagewerk
Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft (WVG), Stuttgart 2006
SGB VII
Sozialpolitisch entscheidend ist, daß neben den Versicherungs-fällen "Berufskrankheit" und "Arbeits-(Wege-)Unfälle" laut § 104 SGB VII vor Allem auch die Unternehmer-Haftpflichtversicherung mitgetragen wird, ohne daß die damit verbundene Verstrickung der DGB-gewerkschaftlichen Versichtertenvertreter in den Selbstverwaltungsorganen in der Öffentlichkeit ein Thema wäre: cui bono?
BKV
Die öffentlich bekannteste Säule unseres BK-Systems stellt die Anlage 1 BKV dar: es handelt sich um die sog. BK-Liste mit derzeit 82 (!) enumerativ aufge-listeten BK-Entitäten und dazu-gehörigen abstrahierten Anga-ben zur Verursachung be-stimmter Krankheiten:
UVTr.
Aufgrund des Selbstverwaltungsprinzips unserer (Berufskrankheiten-und)
Unfallversicherungsträger
(UVTr.)
haben die in der Regel DGB-ge-werkschaftlichen Versicherten-vertreter die Pflicht, alle BK-Be-scheide mit zu unterschreiben, ohne daß die Betroffenen bei Fehlentscheidungen eine echte Chance bekämen, ihre "eigenen" Vertreter persönlich zur Rechen-schaft zu ziehen!
Sozialpolitische Ausgangslage
Angesichts der seit dem Jahre 2005 konstant hohen BK-Todesfallzahlen (Berufskrebs etc.!) ist die gesellschaftliche Ignoranz gegenüber dem BK-Präventionsversagen nicht nachvollziehbar. Die überwiegende Zahl der Beschäftigten weiß nichts über ihre BK-Versicherung, bei Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ("Gelbe Zettel") wird ärztlicherseits die Frage nach einer Berufskrankheit geflissentlich übergangen und auch das "Gesundheits"ministerium (BMG) ist für Berufskrankheiten nicht zu haben...
Vor Allem scheint unser Parteien-Staatssystem insoweit unterbelichtet daherzukommen, als die Wahlprogramme der im Bundestag vertretenen Parteien BK-Themen konsequent ausklammern.
Leider ist es bislang der Fachzeitschrift "Die GesundheitsWirtschaft" (ChefRed Stefan DEGES) vorbehalten geblieben, die Sache auf den Punkt zu bringen:
"Daher muß an die beteiligten Ministerien appelliert werden, damit sie die (...) Probleme (...) mit Priorität versehen und auf die Agenda "Ethik in der Arbeitswelt" setzen." (Tabu mit Todesfolge, Müsch 2012)